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Deutsche Soldaten jüdischen Glaubens 

aus einer württembergischen Kleinstadt

 Ernst Schäll, Laupheim

Es war die Ausstellung „Deutsche Jüdische Soldaten 1914 - 1945, die als Wanderausstellung vom Wehrgeschichtlichen Museum Schloß Rastatt 1981 initiiert wurde und sich einer lange in der breiten Öffentlichkeit vergessenen bzw. verschwiegenen historischen Tatsache annahm. Eine weitere Ausstellung „Deutsche Jüdische Soldaten -   der Epoche der Emanzipation bis zum Zeitalter der Weltkriege“, vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Zusammenarbeit mit dem Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam und dem Centrum Judaicum, Berlin, wird seit zwei Jahren in vielen Städten gezeigt.

Es erhebt sich die Frage, sind diese Ausstellungen erforderlich, haben nicht christliche und jüdische Soldaten Seite an Seite gekämpft, haben Blut vergossen und tausendfach ihr Leben gegeben? Ein Blick in die Historie erklärt die Notwendigkeit der Darstellung dieses Themas.

In  Württemberg erhalten 1864 die Juden alle Bürgerrechte, folglich müssen sie sich auch dem allgemeinen Wehrdienst stellen.

Belegbare Fakten über jüdische Soldaten für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert sind sowohl aus den deutschen Teilstaaten, als auch aus der Donaumonarchie selten. Seit dem frühen Mittelalter wurden Juden, abgesehen   wenigen Ausnahmen, nicht in die Heere aufgenommen. Eine Änderung trat mit der beginnenden Emanzipation ein. Als der Franzosenkaiser 1809 Österreich bekriegte, standen Württemberger und Bayern an vorderster Front. 1812/1813 kämpften württembergische Regimenter, in denen auch Juden standen, in Napoleons Heer gegen das russische Zarenreich. Nur wenige hundert sahen die Heimat wieder. Aus dem Krieg, den Preußen und Osterreich gegen Dänemark führten, hielt sich Württemberg heraus. Anders als nur zwei Jahre später, 1866, als die Preußen gegen Osterreich marschierten, Württemberg sich auf die Seite der Österreicher schlug, und so beim Verlierer war. Hier ist die Beteiligung jüdischer Soldaten gesichert.

Absolut unzureichend ist jedoch das Zahlenmaterial. Theodor Fontane, der sich in seinem Buch „Deutscher Krieg   1866“ zu den preußischen jüdischen Soldaten sehr positiv äußert, nennt nur 1025 Namen. In seiner Erhebung erscheint nur ein Teil der jüdischen Gemeinden Preußens, so daß   einer viel höheren Zahl jüdischer Kriegsteilnehmer ausgegangen werden muß. Nachweisbar ist, daß im Krieg 1870/71 eine große Zahl jüdischer Soldaten in württembergischen Regimentern stand. Viele meldeten sich freiwillig, andere waren eingezogen, denn die allgemeine Wehrpflicht bestand bereits.

Dieser Krieg gegen Frankreich und die bevorstehende Reichsgründung erweckten unter den Deutschen eine Welle der Begeisterung,   der die Juden gleichermaßen erfaßt wurden. Nur sechs Jahre zuvor, 1864, hatten die württembergischen Juden die vollen Bürgerrechte gewonnen und waren da mit der christlichen Bevölkerung gleichgestellt. Der Prozeß im Königreich Württemberg, beginnend 1808, vollzog sich in Etappen, seit 1828 mit weit reichenden Zugeständnissen, doch auch mit vielen Rückschritten auf dem langen Weg.

Andere deutsche Teilstaaten, wie z. B. Preußen, hatten den Schritt schon früher getan. Die gesetzliche Regelung war eine Sache, deren Einhaltung in Amtsstuben und Kanzleien eine andere. Dort empfanden es vielerorts Schreiber und Beamte als an maßend, wenn die Rechte auch wahrgenommen werden wollten. Doch wen wunderts, wenn hoch gestellte Politiker sich wiederholt abfällig zur Emanzipation der Juden äußerten, wie beispielsweise der Abgeordnete Otto   Bismarck, der nachmalige Reichskanzler, der am 15. Juni 1847 vor der preußischen Ständeversammlung eine lange Grundsatzrede hielt, deren Inhalt ausschließlich der Judenemanzipation galt. Die Rede war mit deutlichen antisemitischen Aussagen gespickt und hatte nachhaltige Wirkung. „Ich gönne ihnen Juden alle Rechte, nur nicht das, im deutschen Staate ein obrigkeitliches Amt zu bekleiden“, war noch harmlos, doch blieb ihm dieser Wunsch über seinen Tod hinaus erfüllt. Erst 1921 wurde Walter Rathenau deutscher Minister. Bismarck scheute auch nicht davor zurück, Anschuldigungen nach uralten Klischees breitzutreten und zitierte einen Vorredner aus der schlesischen Ritterschaft, dem er sich anschloß: Er will die Juden emanzipieren, wenn sie selbst die Schranken niederreißen, die sie   uns trennen. Sie sollten also ihren Glauben verleugnen und konvertieren. All dem zum Trotz eilten viele junge Juden zu den Fahnen, mit dem Wissen, daß sie dort oft größere Diskriminierungen erwarteten als im bürgerlichen Leben.

Antisemitische Tendenzen im preußischen Heer: Nur Konvertiten können Offiziere werden

Wenn zum Thema Juden in deutschen Heeren vorwiegend auf Preußen zurückgegriffen werden muß, so liegt dies an der spärlichen Quellenlage zum württembergischen Heer. Es ist jedoch unbestritten, hier war die Benachteiligung eher größer. In Preußen war die Emanzipation gerade ein Jahr alt, als zu Beginn der Freiheitskriege, 1813, auch die im Kriegshandwerk gänzlich unerfahrenen jüdischen Jünglinge zu den Waffen eilten. Dabei war die Möglichkeit, den Offiziersrang zu erreichen, nahezu unmöglich und in der nachfolgenden jahrzehntelangen Friedenszeit noch viel weniger. Fähigkeiten und hohe Auszeichnungen für Tapferkeit zählten nicht. Das Entree war einzig die Konversion zum christlichen Glauben. In Kriegszeiten, wenn ein höherer Bedarf vorlag, änderte sich die Handhabung, doch war die Aufnahme   Juden in die aktive Offizierslaufbahn sehr selten. Als Reserveoffiziere und Stabsärzte der Reserve war dies eher möglich.

Zählungen über die Beteiligung jüdischer Soldaten in den Kriegen 1813 bis 187017t sind wenig aufschlußreich, weil diese meist Jahre nach den Kriegsereignissen erstellt und Glaubensbekenntnisse nicht immer eindeutig erkennbar sind. Ein Beispiel dafür ist eine jüdische Fragebogenaktion im Jahr 1894, bei der 2500 jüdische Gemeinden in Deutschland angeschrieben wurden und nur 1100 verwertbares Zahlenmaterial lieferten. Es mag aber für sich sprechen, was aus den „Jahrbüchern für die deutsche Armee und Marine“, herausgegeben   Oberstleutnant Schnakenburg (1897), hervor geht, wo es heißt „Diese Zahlen stellen der militärischen Brauchbarkeit und dem guten Verhalten der jüdischen Soldaten vor dem Feinde ein allerdings glänzendes Verhältnis aus.“

Die Erlangung der verfassungsmäßigen Gleichberechtigung aller Juden mobilisierte in den Jahren nach 1880 eine breite Gegnerschaft. Zu diesem Zeitpunkt entstand durch Bernhard Förster, Friedrich Nietzsches Schwager, der Begriff Antisemitismus. Seit 1880 wurde die Broschüre „Zwanglose antisemitische Hefte“ herausgegeben. Eine Antisemitische Partei etablierte sich, die es auf sechzehn Sitze im Reichstag brachte und manche Debatte gegen die Juden führte. Einer der maßgeblichen Sprecher war der Abgeordnete Alfred Stoecker, evangeischer Theologe, Dom- und Hofprediger in Berlin.

Besonders kraß und konkret belegbar ist die Zurücksetzung der Juden durch die Militärverwaltung zwischen dem Siebzigerkrieg und dem Ersten Weltkrieg, die der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung Hohn spricht. Selbst bei her vorragender Befähigung konnte ein Jude kaum noch Reserveoffizier, geschweige denn aktiver Offi zier werden. Wie weit die Diskriminierung ging, zeigt eine 1909 erstellte private, in der „Frankfurter Zeitung“ publizierte Statistik, wonach seit 1880 mindestens 25 000 Einjährig-Freiwillige jüdischen Glaubens dienten,   denen nicht einer Reserveoffizier wurde. Selbst zu Unteroffizieren wurden nur wenige befördert. Anders bei den ca. 1200 bis

Unseren Söhnen“, gefallen im Ersten Weltkrieg, steht auf dem Kriegerdenkmal, das 1922 auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim nach einem Entwurf   Professor Friedrich Adler errichtet wurde, der aus dieser oberschwäbischen Stadt stammte.

1500 Einjährig-Freiwilligen, die sich taufen ließen;   diesen erhielten 300 das Offizierspatent.

In den Parlamenten wurden wiederholt Debatten ohne jegliche Ergebnisse geführt, die diesen eklatanten Mißstand geändert hätten. Eine kaiserliche Kabinettsordrer vom 29. März 1890 ist bezeichnend und nennt auch die Urheber des Verfassungsbruchs.,, Die Heranziehung eines ausreichenden und geeigneten Offiziersersatzes ist eine ernste Pflicht der Truppenkommandeure. Die Fahnenjunker müssen aus Kreisen entnommen werden, in denen Adel der Gesinnung zu Hause ist, der das Armeekorps zu allen Zeiten beseelt hat. Neben den Sprossen der adligen Geschlechter, neben den Söhnen meiner braven Offiziere und Beamten, erblicke ich die Träger der Zukunft meines Heeres, und in den Söhnen solcher ehrenwerten bürgerlichen Häuser, in denen die Liebe zu König und Vaterland, ein warmes Herz für den Soldatenstand und christliche Gesittung gepflegt werden.

Hatte man seit der Emanzipation darauf geachtet, Juden aus Zivilbehörden herauszuhalten, war das im Heer noch viel ausgeprägter. Man wußte vom stillschweigenden Einverständnis des Kaiserhauses. Die Aristokratie, in ihrer Mehrzahl zumindest nicht judenfreundlich, wenn nicht gar antisemitisch,. sah das Militärwesen als ihre Domäne an. Wen wundert es, wenn deren Söhne nicht selten auch ohne abgeschlossene höhere Schulbildung die Offizierslaufbahn erreichen konnten.

Der Erste Weltkrieg und die jüdischen Soldaten

Am 4. August 1914 erklärte Kaiser Wilhelm II. im Berliner Schloß vor den Reichstagsabgeordneten und Vertretern der Kirchen: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche, und zum Zeugnis dessen, daß Sie fest entschlossen sind,

Unteroffizier Max D. Einstein mit seiner Tochter, aufgenommen 1915 bei einem Heimaturlaub. Im Hintergrund Schloß Großlaupheim.

ohne Parteiunterschiede, ohne Standes- und Konfessionsunterschiede zusammen zuhalten, mit mir durch dick und dünn zu gehen, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir dies in die Hand zu geloben.“ Wie sich diese Worte, zumindest für die jüdischen Soldaten, zu einer Farce gestalteten, zeigt sich im Kriegsverlauf.

Diesem an das deutsche Volk gerichteten Appell folgten in vaterländischer Begeisterung Christen und Juden gleichermaßen. Mehr als 10000 Juden meldeten sich freiwillig zum Kriegsdienst. Jüdische Organisationen übertrafen sich gegenseitig in enthusiastischen Aufrufen zur größten Opferwilligkeit.

So schrieb der Centralverband deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens am 1. August 1914 in Berlin: „An die deutschen Juden: ‚In schicksalhafter Stunde ruft das Vaterland seine Söhne unter die Fahnen. Daß jeder deutsche Jude zu den Opfern an Gut und Mut bereit ist, die die Pflicht erheischt, ist selbstverständlich. Glaubensgenossen! wir rufen Euch auf, über das Maß der Pflicht hinaus Eure Kräfte dem Vaterland zu widmen. Eilet freiwillig zu den Fahnen! Ihr alle — Männer und Frauen — stellt Euch durch persönliche Hilfeleistung jeder Art und durch Hergabe   Geld und Gut in den Dienst des Vaterlandes!“

Seite an Seite mit ihren christlichen Kameraden taten sie mehr als ihre Pflicht. Sie opferten ihr Blut und viele auch ihr Leben in der Hoffnung auf ein besseres Vaterland, das künftig ihre politische und gesellschaftliche Gleichstellung verwirklichen werde.

Viele Briefe gefallener jüdischer Soldaten zeugen vom Glauben an ein gerechtes Vaterland, doch die antisemitischen Kreise betrieben schon bald ihre Agitation und beschuldigten die jüdischen Soldaten der Drückebergerei, wonach diese sich vorwiegend in der Heimat, in den Etappen und Schreibstuben aufhielten und die Schützengräben den christlichen Soldaten überließen. Unmißverständliche Stellungnahmen   der Heeresleitung hätten die sen Anschuldigungen ein Ende bereiten können, doch diese unterblieben. Eingaben der Verleumder, die das Kriegsministerium überhäuften, führten zu der unseligen Entscheidung der sogenannten Judenzählung.

Am 11. Oktober 1916 erließ das Kriegsministerium eine Verfügung mit folgendem Wortlaut:

„Fortgesetzt laufen beim Kriegsministerium aus der Bevölkerung Klagen darüber ein, daß eine unverhältnismäßig große Anzahl wehrpflichtiger An gehöriger des israelitischen Glaubens vom Heeresdienst befreit seien oder sich   diesem unter allen möglichen Vorwänden drücken. Auch soll es nach diesen Mitteilungen eine große Zahl im Heeresdienst stehende Juden verstanden haben, eine Verwendung außerhalb der vordersten Front, also in den Etappen- und Heimatgebieten und in Beamten- und Schreiberstellen, zu finden. Um diese Klagen nachzuprüfen, und ihnen gegebenen falls entgegentreten zu können, ersucht das Kriegsministerium ergebenst um gefällige Ausstellung einer Nachweisung nach dem anliegenden Muster 1 und 2.“

Die Erhebung verursachte in der Heimat eine Welle des Antisemitismus. Anfeindungen und Beschimpfungen unter den Soldaten blieben nicht aus. Antisemitische Kommandeure gingen so weit, jüdische Soldaten   der Front vorübergehend in die Etappe zu schicken, um die Zählung zu beeinflussen. Die Enttäuschung unter den jüdischen Soldaten und Offizieren war unglaublich groß. Nachträgliche Beteuerungen, die Zählung sei nur erfolgt, um die Anschuldigungen zu widerlegen, verfehlten ihre Wirkung. Der angerichtete Schaden war groß.

Nie wurden die Ergebnisse dieser Zählung vom Kriegsministerium offen gelegt. Um so erstaunlicher ist, daß der antisemitische Schriftsteller Alfred Roth, der unter dem Pseudonym Otto Armin im Jahr 1919 das Buch „Die Juden im Heer — Eine statistische Untersuchung nach amtlichen Quellen“ veröffentlichte, Zugang dazu hatte. Abgesehen   der abstoßenden Kommentierung sind die statistischen Gegenüberstellungen verfälscht.

Längst sind die wirklichen Zahlen der im Ersten Weltkrieg beteiligten jüdischen Soldaten bekannt. Hunderttausend waren es im Reich,   denen die überwiegende Mehrheit an der Front stand. Zwölftausend sahen ihre Heimat nicht mehr, sie starben auf den Schlachtfeldern.

Nach dem Krieg waren es dieselben aktiven Offiziere, die das Hunderttausendmann-Heer und die Reichswehr schufen und befehligten. Am Geiste hat sich wenig oder nichts geändert. Der Demokratie standen sie skeptisch oder ablehnend gegenüber. Mit der Schaffung der Wehrmacht durch da NS-Regime im Jahr 1935 unter derselben Heeresleitung wurden die wenigen jüdischen aktiven Soldaten entlassen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß es im Zweiten Weltkrieg auch Offiziere gab, die Mordbefehle gegen Juden willig ausführen ließen.

Bis ins Jahr 1937 versuchte der „Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten“ durch Bücher und Publikationen auf den Anteil jüdischer Soldaten im Ersten Weltkrieg hinzuweisen. Doch nur in jüdischen Buchhandlungen und Verlagen oder vom „Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten waren diese Bücher zu beziehen und so fast nur jüdischen Lesern zugänglich. Das Publikum, das sie erreichen sollten, bekam sie kaum zu Gesicht.

 

Jüdische Soldaten aus Laupheim

Mindestens vier Soldaten aus der Laupheimer Judengemeinde standen in württembergischen Regimentern im Krieg gegen Frankreich 1870/71. 1 Jakob Adler, Simon Laupheimer, Bernhard Einstein und Jonas Laupheimer, der im 6. württembergischen Infanterieregiment „König Wilhelm am Krieg teilnahm. Da  zeugt eine Urkunde im Staatsarchiv Ludwigsburg, ausgestellt „Auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers und Königs“, aus Anlaß der Verleihung der „Kriegs-Denkmünze   Stahl am Combattanten-Bande Jonas Laupheimer war 1880 bis 1887 Rabbiner in Buttenhausen, danach bis 1914 in Buchau.

Das Wissen um die Beteiligung Laupheimer jüdischer Soldaten im Ersten Weltkrieg ist nahezu lückenlos. Dieses ist Jonas Weil, dem nachmalig letzten Vorsteher der Judengemeinde Laupheim, zu verdanken. Er mußte den Niedergang und die Zerstörung der Gemeinde in der NS-Zeit miterleben. Spät in die USA emigriert, starb er 1942 in Chicago.

1919 erstellte Jonas Weil das „Verzeichnis   Kriegsteilnehmern der israelitischen Gemeinde Laupheim In dem Buch ist jedem der Soldaten ein Erinnerungsblatt gewidmet mit allen persönlichen Daten.   „Eingerückt bis „Entlassen und allen Beteiligungen am Kriegsgeschehen.

An der Front waren:                54 Leute

In der Etappe waren:              9  Leute

In der Heimat waren:             18 Leute

Insgesamt                              81 Kriegsteilnehmer

Hierunter sind gefallen            6 Leute

Vermißt                                  2 Leute

Die beiden vermißten Soldaten waren ebenfalls, wie sich später ergab, gefallen. Außerdem stellte der Verfasser bei den Recherchen zu diesem Beitrag fest, daß nicht acht, sondern neun gefallen sind. Julius Regensteiner wurde im November 1915 als vermißt gemeldet. Da seine Familie bei Kriegsende nach Freiburg zog, erfuhr man hier nichts   seinem Soldatentod. Er ist in der Dokumentation nicht genannt. Demnach erhöht sich die Zahl der Kriegsteilnehmer auf 82, die der Gefallenen auf neun.

Nach der Volkszählung lebten in Laupheim im Jahr 1910 = 348 Juden, mit stark abnehmender Tendenz. Zum Vergleich: 1871 = 732; 1880 = 635; 1890 = 490; 1905 = 413. Zwischen 1910 und der folgenden Zählung 1925 war eine Abnahme   93 auf 255 zu verzeichnen. Wenn man für das Jahr 1914   300 jüdischen Einwohnern ausgeht, was realistisch sein dürfte, ist der Anteil der Kriegsteil nehmer 27 %‚ der Anteil der Kriegstoten im Vergleich zu den Teilnehmern ca. 11 %. Hunderttausend Soldaten jüdischen Glaubens standen im Ersten Weltkrieg im Kriegsdienst. Zwölftausend kehr ten   den Schlachtfeldern nicht mehr zurück. Dies entsprach im ganzen Reich dem prozentualen Anteil der christlichen Soldaten. Zwölf meldeten sich freiwillig. Je drei wurden zu Offizieren, zu Unterärzten bzw. Kriegsassistenzärzten und Stabsärzten befördert. Für ihre Tapferkeit wurden viele teil weise hoch dekoriert.

Darüber, daß ihnen Benachteiligung begegnet ist, beklagte sich in der Dokumentation nur ein Laupheimer Frontsoldat, der Einjährig-Kriegsfreiwillige Unteroffizier Benno Nördlinger, der in zwölf dokumentierten Schlachten teilnahm und dekoriert wurde, mit dem Hinweis: „Wurde wegen Antisemitismus des Regimentskommandeurs Mayor Hartenstein vom Reserve Feldartillerie 26 nicht weiterbefördert.“ Nicht anders als in christlichen Familien und in den Kirchengemeinden gedachte man auch in der jüdischen Gemeinde der Soldaten. Bei staatlichen Kriegsanleihen und Spendenaufrufen war man in jüdischen Familien besonders großzügig. Am Sabbat und an hohen jüdischen Feiertagen wurde der Soldaten gedacht. Der Laupheimer Rabbiner Dr. Leopold Treitel, dessen drei Söhne ebenfalls im Felde standen, hielt zu allen Soldaten seiner Gemeinde Verbindung. Das zeigt sich auch in den beiden vom Rabbiner in Gedicht- form ins Feld geschickten Festtagsgrüßen zu Chanukka dem Lichterfest (Dezember) 1916, und Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest (Sept—Okt.) 1917.

Es ist hier nicht möglich, auf viele belegte Einzel schicksale der 82 Soldaten der Laupheimer jüdischen Gemeinde einzugehen. Beispielhaft stehen hier die Brüder Heinrich und Julius Steiner, beide Kriegsfreiwillige. Heinrich wurde am 2. Januar 1915 Soldat. Zum Leutnant der Reserve befördert, sind die Schlachten, in denen er stand, lückenlos aufgezeichnet:

15.07.1915 - 14.10.1916            Kämpfe zwischen Maas und Mosel
22.11.1916 - 14.04.1917            bei Regniöville, Remenan ville, Fey.
16.10.1916 - 22.11.1916            Sommeschlacht
20.04.1917 - 27.05.1917            Doppelschlach Aisne — Champagne, Höhe 91
28.05.1917 - 27.08.1917            Stellungskämpfe bei Reims, Höhe 108
28.08.1917 – 09.10.1917           Abwehrschlacht bei Verdun, Höhe 344
10.10.1917 – 09.02.1918           Stellungskämpfe bei Verdun (Toter Mann, Höhe 304)
27.03.1918 – 08.04.1918           Große Schlacht in Frankreich
21.04.1918 – 23.04.1918           Verfolgungskämpfe im Sommegebiet (Vermaud, Rosiöre)
27.03.1918 – 08.04.1918           Kämpfe an der Somme (Caix, Beaucourd)
21.04.1918 – 23.04.1918           Avre (Mezibres, Villers)
24.04.1918 – 25.04.1918           Schlacht bei Villers –Bretonneux
In dieser Schlacht ist Heinrich Steiner am 25. April 1918 gefallen.

  seinem zwei Jahre jüngeren Bruder, der im Juli 1916 Soldat wurde, bestehen eben lierte Daten über seine Fronteinsätze in Frankreich, in Rußland und wieder in Frankreich. Die Mutter unterrichtete ihn über den Tod des Bruders:

 

Rosch-ha-schono-Gruss an unsere jüdischen Soldaten draussen
auf 17. September 1917 = 1. Tischri 56 78.
 
Auf ein gutes neues Jahr! auf fröhliches Gelingen!
Ruft Euch in Liebe die Heimat zu,
Dass Ihr zu glücklichem Ende führt das lange Ringen
Und Euch e froh lache wieder Fried Ruh!
0, dass es werd ein Friedensjahr,
Das Jahr, dem hoffend wir entgegensehen!
In des Festes Sinn Erneuerung würde an uns wahr.
Alles Leid in einer neuen Zeit mög‘ untergehn.
Ein Gedenken   Gott, der thronet im Licht!
Für Euch Brave draussen wir daheim erflehen,
Wir erhoffen mit grösster Zuversicht:
Ein baldig siegreich Ende, ein frohes Wiedersehen!
Im Namen der Heimatgemeinde Laupheim ihr Rabbiner
Dr. Treitel

 

 

Laupheim 26. April 1918
Mein lieber Julius, mein Herzblatt!
Wie unendlich ich Dich mein Herz liebe, wirst Du daraus ermessen, daß meine Liebe mir die Kraft gibt, Dir zu schreiben. Ein Telegramm brachte mir heute die niederschmetternde Kunde, daß unser Heiner, unser Sonnenschein, sein tapferes, blühen des junges Leben fürs Vaterland ausgehaucht hat. Ich weiß noch gar nichts, als daß er am 25. früh 6.45 gefallen ist. Was Dir das bedeutet weiß Niemand besser als ich und größer noch als mein eigener Schmerz ist der, Dir jetzt nicht nahe zu sein, Dich mein Liebling nicht trösten zu können! — Ich habe nur die eine Bitte an Dich. Laß Dich vom Schmerz nicht übermannen — erhalte Dich mir, deren einzige Hoffnung Du bist — Alles für das ich noch lebe! Ich verspreche Dir, deinetwegen tapfer zu sein und auszuharren, wenn nur das Schicksal Dich mir bewahrt.
Innigst küßt Dich
Mutter

 

In der wirtschaftlich schweren Nachkriegszeit‘ ließ die Laupheimer jüdische Gemeinde 1922 ein anspruchsvolles Kriegerdenkmal für ihre gefallenen Söhne errichten, das der in der Stadt geborene, in Hamburg lehrende Künstler Professor Friedrich Adler entwarf. Hier waren bis zum Jahr 1998 acht Namen auf der eingelassenen Bronzetafel genannt. Erst jüngst, 76 Jahre nach der Errichtung, erfolgte eine Ergänzung mit dem Namen des erst achtzehn- jährigen Unteroffiziers Julius Regensteiner, der am 25. September 1915 bei SIe. Marie ä Py in Frank reich gefallen ist. Diese Namenstafel blieb entgegen dem NS-Befehl aus Stuttgart unberührt. Metallgegenstände wurden 1942   den Grabsteinen entfernt und der Rüstungsindustrie zugeführt. Selbst bronzene Einzelbuchstaben der Inschriften wurden herausgerissen.

Das Denkmal für die Gefallenen steht dominant am Ende des Mittelwegs, im Osten des jüdischen Friedhofs. Der Laupheimer Verkündiger berichtete über die feierliche Weibe am 18. Juni 1922, zu der sich viele Menschen aller Konfessionen einfanden. Der Göppinger Rabbiner Dr. Aaron Tänzer, selbst Feldrabbiner im Krieg, hielt eine eindrucksvolle Weiherede.

Über den Heldengedenktag — heute Totensonntag — im selben Jahr berichtet Josef  K. Braun

„Anno 1922 ließ es sich der mitgliedstarke «Krieger und Veteranenverein Laupheim» angelegen sein, die Feier auszurichten. Vom Rathaus in der Stadtmitte erfolgte am Sonntag 5. November vormittags 10 Uhr der Abmarsch der Teilnehmer zum christlichen Friedhof in folgender Reihenfolge: Musik, Angehörige der Gefallenen, Gemeinderat und Beamtenschaft, Zentralverband für Kriegsgeschädigte Ortsgruppe Laupheim, Bund jüdischer Frontsoldaten, Sanitätskolonne, Krieger und Veteranenverein Laupheim, darunter auch einige ehemalige Offiziere in Uniform. Es wurde empfohlen: „Festanzug für Verheiratete, Sonntagsanzug für Ledige“ (...)

Anschließend erfolgte der gemeinsame Marsch zum Judenfriedhof, wo für die jüdische Gemeinde Rabbiner Dr. Treitel die Gedächtnisrede hielt. Seine inständige Hoffnung klang aus dem Satz „Es darf keinen Krieg mehr unter den Völkern geben; aber Krieg dem Völkerhasse“. Die Arbeit an der Verwirklichung der Versöhnung unter den Völkern gelte als Vermächtnis, das die Kriegstoten uns hinterlassen hätten. Und weiter.,, Auf beiden Friedhöfen wurden Kränze niedergelegt vom Vorstand des Kriegervereins Löw und   den ehemaligen Frontsoldaten Herzog und Heumann.“ Diese Abfolge der Feiern blieb bis zur sogenannten NS-Machtübernahme 1933.

Am 17. November 1933 richtete NSDAP-Kreisleiter Hörmann an die Gauleitung in Stuttgart eine Anfrage, ob hier in Laupheim der „Gedenktag für die Opfer des Weltkriegs“ in gleicher Form wie bis her begangen werden kann oder ob   einer öffentlichen Feier auf dem jüdischen Friedhof ganz Abstand genommen werden soll. Auf diese nach Meinung der Gauleitung naive Anfrage fiel die Antwort entsprechend aus:

„Wir bestätigen den Empfang Ihres Schreibens vom 17. ds. Mts.
Obgleich wir nicht verstehen können, daß Sie in Ihrer Eigenschaft als Kreisleiter an die Gauleitung
eine solche Frage stellen, beantworten wir diese trotzdem.
Wir empfehlen Ihnen, eine allgemeine Totengedenkfeier in Laupheim abzuhalten. Es ist natürlich nicht angängig, daß heute im nationalsozialistischen Deutschland Nationalsozialisten auf einem jüdischen Friedhof eine Feier abhalten.
Im übrigen empfehle ich Ihnen, sich mit der Stellungnahme der NSDAP zum Judentum zu beschäftigen.
Die Juden   Laupheim können trotzdem auf ihrem Friedhof ihrer Toten gedenken. Nationalsozialisten haben jedoch hierbei nichts zu suchen!
Heil Hitler!
(Unterschrift unleserlich)
Adjutant Gauleitung

Hohnsprechend war die Verleihung des «Deutschen Frontkämpfer-Abzeichens» im Dezember 1933 sowie, zwei Jahre später «Im Namen des Führers und Reichskanzlers», des «Ehrenkreuzes für Frontkämpfer» an die jüdischen Frontsoldaten des Weltkrieges. Nur wenig später, beim Novemberpogrom 1938, wurden auch diese ins Konzentrationslager Dachau verschleppt und wochenlang schikaniert. Den Frontsoldaten, die ihre Kriegsauszeichnungen angelegt hatten, wurden diese   den SS Wachleuten abgerissen und in den Schmutz geworfen, so auch dem Oberarzt Emil Treitel, der das Eiserne Kreuz 1. Klasse angeheftet hatte. Und nach weiteren drei Jahren wurden alle, die das schützende Ausland nicht erreichten, ermordet.

 

Quellen und Anmerkungen

Staatsarchiv Ludwigsburg

Stadtarchiv Laupheim

1 Josef K. Braun, «Altlaupheimer Bilderbogen>, Bd. 2, S. 28t

2 Ders. ‚ «Altlaupheimer Bilderbogen», Bd. 2, S. 194 Michael Schick sei für Hinweise und Unterlagen gedankt.

Literatur:

Felix A. Theilhaber: Die Juden im Weltkrieg. Berlin 1916 Otto Armin: Die Juden im Heer — eine statistische Untersuchung nach amtlichen Quellen. München 1919 Jakob Segal: Die deutschen Juden als Soldaten 1914 — 1918. Berlin 1921

Felix A. Theilhaber: Jüdische Flieger im Weltkrieg. Berlin 1924

Jüdische Frontsoldaten aus Württemberg und Hohenzollern. Stuttgart 1926

Die jüdischen Gefallenen des Deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914 — 19 18. Ein Gedenkbuch. Berlin 1933

Gefallene deutsche Juden, Frontbriefe 1914—18. Berlin 1935

Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden. Stuttgart-Deger loch 1961

Rolf Vogel: Ein Stück   uns. 1813— 1976. Deutsche Juden in deutschen Armeen. Mainz 1977 Deutsche jüdische Soldaten 1914— 1945. Ausstellungskatalog. Rastatt 1981

Deutsche jüdische Soldaten. Austellungskatalog. Potsdam, Berlin 1996

 

* * *

16.09.2021 Nachtrag:

Nach einem Hinweis von Matteo D´Angella aus Salerno kann zu den letzten Ereignissen von Julius Regensteiner folgendes hinzugefügt werden:

 

Julius Regensteiner, ist einer der sechs Unteroffizier der 5. kompanie, die am 25. September 1915 vermisst wurden.

Die Kompanie war entlang des 2. Bataillons verschanzt auf dem Höhe 164, östlich der Windmühle von Souain, westlich der Straße Souain-Navarin. Wahrscheinlich besetzte die II/113 die von den Franzosen so genannten "ouvrage de Palatinat" und "de Magdebourg", heute unweit des deutschen Soldatenfriedhofs.

An diesem Tag (nach einem am 22. September begonnenen Artilleriebeschuss, bei dem etwa 3600 Granaten pro Stunde die deutschen Stellungen treffen) griffen das 5. und 33. französische Kolonial-Infanterie-Regiment um 9.15 Uhr an und rückten ca. 3-4 km bis zum Abend vor .

Wir wissen nicht, ob Julius durch die Artillerie oder wenn er im folgenden Handgemenge getötet wurde, aber das Regiment hatte an diesem Tag 66 Tote und 157 Vermisste (vermutlich tot). Von denen, die vermisst wurden 75 von der 5. Kompanie, darunter der Jüdische Leutnant der Reserve, Zugführer  Isay Lewin, der heute als Unbekannter in Souain begraben ist. 

Der Kompaniechef und weitere 5 Offiziere wurden am 25. September vermisst, wahrscheinlich getötet oder gefangen genommen.

Nicht viele wurden von der 5. Kompanie gefangen genommen, aber in einem Fall kehrte ein Soldat über die Schweiz nach Deutschland zurück, schwer verwundet und nicht mehr kampffähig; der vermisste Ort vieler Soldaten ist St.Marie a Py, Souain oder Nördlich Souain.

Drei Brüder Tenckhoff fanden den Tod mit Julius Regensteiner nördlich von Souain und zeigten das sehr traurige und blutige Gesicht des Ersten Weltkriegs.

Auf dem Friedhof von Souain sind 13790 deutsche Soldaten begraben, davon sind 9583 unbekannt, und wer weiß, ob auch Julius dort mit seinen Kameraden begraben liegt.

Ich danke Herr Michael Schick für seine freundliche Zusammenarbeit und sein Interesse und Herr Daniel Stern aus New York, verwandt von Julius Regensteiner, für die freundliche Zusammenarbeit bei dieser Geschichte.

  

 

Quellen:

http://www.denkmalprojekt.org/2012/5_badisch_infanterie-rgt_nr113.html

Internationale Rote https://grandeguerre.icrc.org/en/File/Details/199876/1/2/

Verlustliste  https://des.genealogy.net/eingabe-verlustlisten/search

https://www.volksbund.de/erinnern-gedenken/graebersuche-online

https://www.greatwarforum.org/topic/249304-champagne-souain-1915/?tab=comments#comment-2514462

https://www.greatwarforum.org/topic/228895-julius-regensteiner-5-komp-infanterie-regiment-nr-113-icrc-help33/page/2/

 

 

 

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