Kurze
Beschreibung des Laupheimer jüdischen Friedhofs
Sie
sind durch den Torbogen neben dem einstigen Leichen- und Friedhofwärterhaus
eingetreten und befinden sich im sogenannten uralten Teil des Friedhofs,
dessen Anlage kurz nach 1730 entstand. Er hatte eine Ausdehnung in
Ost-West-Richtung von etwa zwölf Metern, in Nord-Süd-Richtung von etwa
24 Metern. Dieser Teil bildete für mehr als fünfzig Jahre den ersten
Gottesacker. Viele der einst hier vorhandenen Grabsteine sind zerfallen,
und der Rasen bedeckt die Flächen, auf denen sie einstmals standen.
Teilweise zeigen die noch sichtbaren Fundamente die Grabstellen an. Hier
aufgefundene Fragmente wurden in Platten eingegossen, die in den Nischen
der Nordmauer Aufstellung fanden. Dort sind auch Steine aufgestellt,
deren ursprünglicher Standort nicht mehr zu ermitteln war. Nachgewiesen
sind auch Holzgrabmäler, von denen um die Jahrhundertwende noch einige
angetroffen wurden. Die
niedrigen Grabsteine – keiner soll den anderen überragen – haben
archaische Formen mit halbrundem, halbrund-ausschwingendem oder spitzem
Abschluss. Sie sind ganz unbeeinflusst vom barocken Stil jener Zeit und
spiegeln treu den Glaubensgrundsatz der Bescheidenheit wieder. Die Armut
in den Familien mag dies noch gefördert haben. Inschriften in den
ersten achtzig bis hundert Jahren waren ausschließlich hebräisch
geschrieben. Allgemein ist bekannt, dass diese Schrift von rechts nach
links gelesen wird. Gemeinsam sind den Inschriften die beiden Buchstaben
PN für PO NITMAN bzw. PO NIKBAR, zu Deutsch HIER IST, oder PT für PO
TAMUN, zu Deutsch HIER IST BEGRABEN. Die letzte Zeile der Inschrift trägt
abgekürzt in Anfangsbuchstaben den Segensspruch SEINE SEELE SEI
EINGEBUNDEN IN DEN BUND (DAS BÜNDEL) DES LEBENS. Die hebräische
Schrift kennt keine Zahlen; diese werden in Buchstaben ausgedrückt. Die
Lebensdaten sind nach dem jüdischen Kalender genannt; d.h. es sind 3761
Jahre zu unserer Zeitrechnung hinzuzuzählen. Vom
Eingang des Friedhofs führt ein breiter Weg, der Derech Kohanim –
Priesterweg -, mittig zu dem im Osten liegenden Gefallendenkmal des
Ersten Weltkrieges. Nördlich des Weges liegen die Männer, südlich die
Frauen begraben. Diese Ordnung gilt jedoch erst für Beerdigungen ab
etwa 1820. Selten sind im uralten Teil die Grabsteine mit vollständig
entzifferbaren hebräischen Inschriften. Feuchtigkeit aus dem Erdreich,
noch mehr jedoch die Schadstoffe aus der Luft, haben ihre Spuren
hinterlassen. Name und Lebensdaten wurden zu Anfang immer im unteren
Bereich des Grabsteins eingemeißelt und waren deshalb besonders gefährdet,
auch in Bezug auf mechanische Beschädigungen, die beim Mähen und
Rechen der Grasflächen entstehen konnten. Die Grabstätten liegen nach
Osten; von dort wird einstmals der Messias erscheinen, und dort liegt
Jerusalem mit den heiligen Stätten des Judentums. Der
Zeit mit einer ausschließlich hebräischen Inschrift folgte eine
Periode, in der Inschriften sowohl in Hebräisch als in Deutsch
verwendet wurden. Im deutschen Text war die Datierung nach dem
christlichen Gregorianischen Kalender. Noch später herrschte die
deutsche Inschrift vor, doch immer blieben der obere Hinweis und der
untere Segensspruch abgekürzt in Hebräisch. Jüdische
Verstorbene haben Grabesruhe bis zum jüngsten Tage mit dem Erscheinen
des Messias. Deshalb sind Grabschändungen in höchstem Maße
verwerflich. Die ewige Grabesruhe hat aber auch zur Folge, dass jüdische
Friedhöfe immer wieder vergrößert werden müssen. In Laupheim geschah
dies insgesamt drei Mal, zuletzt 1929. Personendarstellung
auf Grabsteinen oder gar Porträtbüsten der Verstorbenen an der
Grabstelle sind nicht mit der jüdischen Glaubenssauffassung vereinbar.
Anders ist es mit Sinnbildern, die dem Besucher schon an frühen
Grabsteinen begegnen. Die meist als Relief geschaffene Darstellung dient
nicht in erster Linie der Zierde, sondern steht für Namen, Familienstämme
oder bezieht sich auf Funktionen oder Ehrenämter, die der oder die
Verstorbene in der Gemeinde innehatte; auch Berufssymbole, wenn auch
seltener, sind anzutreffen. Bei Sinnbildern aus der Pflanzenwelt ist
nicht immer leicht zu unterscheiden, was Symbol ist oder was nur als
Zierde dient. Eindrücklich
ist die Symbolik des an der Nordseite stehenden, wunderbar erhaltenen
Grabsteins aus beständigem Muschelkalk. Es ist das Grabdenkmal für
Samuel bar Naftali ha Cohen, zu Deutsch Hirsch Samuel Kahn, gestorben
1764, mit den ausgebreiteten, segnenden und betenden Händen. Ein Kohen
ist Nachfahr einer altpriesterlichen Familie, vom Hohepriester Aaron
abstammend. Auch Katz, Kantor und Kaplan und andere ähnlich klingenden
Namen gehen meist auf diesen Namensstamm zurück. Auf dem Laupheimer jüdischen
Friedhof ist dieses Sinnbild wiederholt anzutreffen. Die Nachfahren des
Priesterstammes haben heute noch Privilegien und Pflichten in der
Gemeinde. Eine Wasserkanne steht für einen Leviten, der ebenfalls aus
einer altpriesterlichen Familie stammt. Die Leviten waren Beschützer
und Diener des Tempels. Ein Löwe steht für Jehuda (Juda), dem mächtigsten
Sohn Jakobs, von dem es in Moses 1. Buch, Kapitel 49, Vers 8 heißt: JUDA, DU BIST’S! DICH WERDEN DEINE BRÜDER PREISEN, DEINE
HAND WIRD DEINEM FEIND AUF DEM NACKEN SEIN; VOR
DIER WERDEN DEINES VATERS SÖHNE SICH VERNEIGEN. Ein
anderes Sinnbild, der Hirsch, steht für den Sohn Jakobs Naftali, der in
der Bibel ein flinker Hirsch genannt wird. Ein Bär, der ebenfalls einen
Grabstein ziert, steht für Ber, Beer oder Berlin (Bärlein). Dies sind
populäre jüdische Namen, die sich nicht ohne weiteres deuten lassen,
doch wörtlich aus dem Hebräischen übersetzt BRUNNEN lässt durchaus
eine Deutung zu. Sinnbilder
für Ehrenämter in der Gemeinde oder für besondere Wohltätigkeiten
des Verstorbenen sind wiederholt zu erkennen. Der Schofar zeigt an, dass
der Begrabene das Widderhorn an hohen Feiertagen in der Synagoge blies,
und an Jom Kippur, dem Versöhnungsfest. Der Schofar, in Urzeiten ein
profanes, wenig wohlklingendes Instrument, fand schon im Altertum
Eingang in Synagogen und wurde dort zur Ermahnung an Buße und Versöhnung
geblasen. Messer, Buch und zwei Kännchen zeigen einen Schochet, einen
Schächter, an, der Schlachttiere nach jüdischer Vorschrift tötete.
Dieser hatte nicht nur eine besondere Ausbildung, er musst auch ein
vorbildlich glaubenstreues Leben führen. Eine Krone, Krone des guten
Namens, im Stein oder den Stein bekrönen, erhielt ein Verstorbener, der
sich in der Gemeinde besondere Verdienste erworben hatte. Auch der Magen
David – Davidstern – ist anzutreffen. Das Hexagramm ist ein altes
Zeichen, das sich etwa 200 Jahren immer mehr zum Sinnbild des Judentums
entwickelt hat. Seit Neugründung des jüdischen Staates ist der Magen
David das Emblem der Staatsfahne Israels. Ein
paar Beispiele von Symbolen aus der Pflanzenwelt: Palmzweige sprechen für
Wiedergeburt und Unsterblichkeit; Granatäpfel, die im Blumengebinde ein
Grabmal zieren, sind in der Bibel als Lebensfülle, Fruchtbarkeit und göttlicher
Segen genannt. Auch kann der Frucht eine gewisse mystische Bedeutung
zugeschrieben werden, denn die Anzahl der Samenkörner des Grantapfels,
die immer 613 sein soll, ist identisch mit der in der Tora genannten
Gebote. Mohnkapseln deuten auf den (ewigen) Schlaf. Schon
vor Mitte des letzten Jahrhunderts machte sich ein nicht übersehbarer
Wandel der Grabsteinkultur bemerkbar, so dass man schon von einer
Architektur sprechen kann, die aus der zeitgenössischen Baukunst
abgeleitet ist. Diese war zu jener Zeit eine eklektische, d.h. eine aus
früheren Stilen übernommene oder nachempfundene. Damit machte sich ein
ungewöhnlicher Formenreichtum breit. Neugotische Grabmäler mit Maßwerkverzierungen,
Säulen mit Kapitellen und Fialen wechseln mit Steinen der Neoromanik,
Neorenaissance und des Neubarocks, mit Giebeln und Gesimsen, Pilastern
und Kartuschen, Girlanden und Vasen. Unverkennbar ist damit eine Abkehr
vom traditionellen jüdischen Verständnis angezeigt. Waren
die Grabsteine der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet
vom Formenreichtum und handwerklicher Perfektion, erhielt zu Beginn
unseres Jahrhunderts die Grabsteinarchitektur neue Dimensionen der
angewandten Kunst, die hier besonders geprägt wurde durch Friedrich
Adler, dem in Laupheim geborenen, erst in München, dann in Hamburg
lehrenden Künstler. Das Grab für Bertha Heumann (Reihe R 19),
gestorben 1900, ist mit einer weißen Marmorplatte abgedeckt.
Rosenranken, ganz im Stil der Münchner Debitzschule, der Friedrich
Adler angehörte, schließen den reichen, deutschen Inschrifttext ein.
Das Grabmal, ein grob behauener Ragazer Stein, trägt die ovale, hebräisch
geschriebene Inschrifttafel. Bekrönt wird der Stein von einer schön
geformten Marmorschale mit ringsum laufendem Akanthusdekor. Dieses
Grabmal erlaubt aufgrund stilistischer Merkmale eine sichere
Zuschreibung an Adler, während bei weitern 15 die Entwürfe durch ihn
gesichert sind. Stilistisch reichen sie vom Jugendstil über
Expressionismus bis in die Moderne der kubischen Formen des Bauhauses.
Expressiv sind beispielsweise die beiden Steine für die Eltern von Carl
Laemmle, dem Hollywoodgründer; etwa 1920 postum für frühere Steine n
den Reihen L 13 und R 15 gesetzt, fallen sie durch ein interessantes Maßwerk
im spitzen Oberteil auf. In moderner Form zeigt sich das ausdrucksvolle
Gefallenendenkmal. Um
dieses Ehrenmal des jüdischen Friedhofs in Laupheim wurde eine Freifläche
geschaffen, auf der vier, heute mächtige Blutahornbäume, gepflanzt
wurden. Die anschließende Gräberreihe wurde entgegen jüdischer Regel
– aus gestalterischen Gründen – nach Westen ausgerichtet: Ein Indiz
für die Nähe zur Liberalität der Gemeinde zu jener Zeit. Dafür
sprechen auch die seit etwa 1920 angelegten Familiengräber. Mit
der sogenannten Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahre
1933 begann die trübste und letztlich grausamste Zeit für die jüdischen
Gemeinden und ihre Mitglieder in Deutschland. Auch Friedhöfe spiegeln
dieses wider. In Laupheim wurden keine Familiengräber mehr angelegt.
Einfacher und bescheidener wurden die Grabsteine, die teilweise an frühe
Formen erinnern. Rückbesinnung auf jüdische Werte, einhergehend mit
der zunehmenden Verarmung, haben dazu geführt. Schon
im vergangenen Jahrhundert haben sich auswärts lebende Laupheimer gerne
in der heimatlichen Erde bestatten lassen, vor allem, wenn es an ihrem
Wohnsitz keinen jüdischen Friedhof gab. Nun kam hinzu, dass in Städten
wohnende jüdische Menschen, die aus Laupheim stammten, besonders
verwitwete, hierher zogen, auch in der Hoffnung, den Schikanen der Nazis
weniger ausgesetzt zu sein – das traf auch am Anfang zu – und um
einmal hier die letzte Ruhe zu finden. Die
Pogromnacht im November 1938, als die jüdischen Gotteshäuser im
Deutschen Reich brannten, läutete den Völkermord an den Juden Europas
ein, der mit dem Überfall auf Polen 1939 blutige Realität wurde. Das
Tragen des gelben Sterns wurde zur Pflicht. Aus ihren Häusern
vertrieben, mussten sie in Notquartieren und sogenannten Judenhäusern
wohnen. In Laupheim geschah dies in Baracken der Wendelinsgrube, die zum
Teil ohne elektrischen Strom und Wasseranschluss gewesen sein sollen.
1941 wurden württembergische Städte und Dörfer im Nazijargon
„judenrein“ gemacht. Aus ihren Häusern vertrieben, auf wenige Orte
im Land in minderwertigen Wohnungen und Massenquartieren
zwangsangesiedelt, so auch in Laupheim und im naheliegenden
Dellmensingen, waren sie in den Vorhöfen der Vernichtungslager.
Diejenigen, denen das Schicksal gnädig war, fanden hier ihre letzte
Ruhe. Nach Krieg und Befreiung wurde ihr Tod amtlicherseits, beschämenderweise
als „kriegsbedingt“ bezeichnet. In den ersten Wochen des Jahres 1945
wurden Konzentrationslager-Häftlinge aus Bergen-Belsen in erbärmlichem
Zustand in das Lager Lindele nach Biberach-Birkendorf gebracht. Die dort
verstorbenen Häftlinge wurden in Laupheim begraben. Gutmeinende, wohl
Nachbarn des Friedhofs, haben damals nachts kleine Holzkreuzchen an den
Grabstellen aufgestellt. Für
die 101 aus Laupheim stammenden jüdischen Menschen, die im Holocaust
umgebracht und nie in ein Grab gelegt wurden, ist 1984 am Eingang des
Friedhofs einen bronzene Gedenktafel angebracht worden, auf der in drei
langen Kolumnen die Namen der Ermordeten genannt werden. Professor
Ivo Schaible, der 1990 verstorbene Ehrenbürger Laupheims, formte die
Menora – den siebenarmigen Leuchter für die Tafel. Die Inschrift
lautet: 1933
– 1945 IHR
STERBEN SOLL UNS ALLZEIT MAHNEN DIE
BÜRGER VON LAUPHEIM Letzteres
ist wörtlich gemeint, denn die Laupheimer Bürger haben die Tafel
gespendet.
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