2023
Neue Gedenktafel für weitere 53
Holocaust-Opfer
![]() Recherche fördert weitere NS-Verfolgte mit Bezug zu Laupheim zutage - Auf jüdischem Friedhof wird an sie erinnert. Von Christian Reichl Schwäbische Zeitung vom 27.01.2023
„Ihr Sterben soll uns allzeit mahnen“, diese Worte prangen auf der bronzenen Gedenktafel, die an der Giebelseite des Hauses am jüdischen Friedhof angebracht ist. Auf ihr zu lesen sind die Namen von 102 Holocaust-Opfern. Jetzt wurde anlässlich des heutigen Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus eine neue Tafel unter der bereits vorhandenen Plakette installiert. Sie erinnert an die Schicksale von weiteren 53 jüdischen Menschen, die ebenfalls den Tod durch die nationalsozialistische Verfolgung von 1933 bis 1945 fanden.
Augenscheinlich unterscheidet sich die neue Gedenktafel von der 1984 angebrachten nur im Farbton. Auf der bronzenen Platte hat die Witterung ihre Spuren hinterlassen. „In einigen Jahren wird die neue Tafel dieselbe Patina haben wie die alte“, sagt Michael Schick, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken (GGG).
Die neue Gedenktafel erinnert nun an 53 weitere Menschen, die durch die nationalsozialistische Verfolgung starben. „Auf der Tafel stehen die Namen von Menschen, die in Laupheim geboren wurden, hier lebten oder von Laupheim aus deportiert wurden“, berichtet Schick. Die Kriterien sind laut Schick dieselben, die bereits für die alte Gedenktafel zugrunde gelegt wurden. Ein prominentes Beispiel hierfür nennt Schick mit dem Laupheimer Jugendstilkünstler Friedrich Adler, der auch auf der Tafel steht, obwohl er später in Hamburg lebte. Im Juli 1942 wurde der Kunstprofessor von Hamburg aus nach Auschwitz deportiert. Zur letztgenannten Gruppe gehörten etwa die Juden, die das frühere Rabbinat am Synagogenweg, in dem die Nationalsozialisten ein jüdisches Zwangsaltenheim einrichteten, beziehen mussten, aber auch die jüdischen Menschen, „die durch die Wirren des Krieges hier gelandet sind“, wie der 55-Jährige erklärt.
Er erinnert daran, dass schon in den 1990er-Jahren zwei Namen auf der alten Tafel ergänzt wurden, der von Ludwig Haymann, und der von Janette Oppenheimer geborene Heumann. „Man rechnete schon damals mit wesentlich mehr Menschen, die Opfer der Shoa wurden“, erklärt Schick. Die früheren Recherchen gestalteten sich aber schwierig, weil sich die Gedenkarbeit auf Erinnerungen von Zeitgenossen der Opfer stützen musste. „Die ersten Aufzeichnungen waren Erinnerungen von ehemaligen KZ-Häftlingen und handgeschrieben. Heute sind alle Archive digitalisiert“, sagt der Laupheimer. Mit wenigen Klicks spuckt ein Computer inzwischen alle Treffer mit der Übereinstimmung eines Namens aus. So konnten mit den jüngsten Recherchen 155 Opfer der Shoa mit Bezug zu Laupheim identifiziert werden.
Unter den bislang nicht namentlich bekannten Opfern, an die nun erinnert wird, ist der Handelsvertreter Isidor Weil, geboren am 21. August 1875 in Metzentürm, und seine Frau Elsa - Geburtsname Kahn -, geboren am 17. November 1882 in Ludwigsburg. Die Familie wurde im September 1939 von der Ulmer Sammelunterkunft ins ehemalige Laupheimer Rabbinat zwangseingewiesen. Das Ehepaar wurde mit dem letzten Deportationszug von Laupheim aus, am 19. August 1942, ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Die Tochter, Edith Antonie, geboren am 24. Oktober 1926 in Ulm, brachten die Nationalsozialisten am 23. August 1943 nach Theresienstadt. Isidor Weil starb am 7. Februar 1943 in Theresienstadt, Elsa und Edith wurden am 12. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
„Wir bleiben an der Gedenkarbeit dran“, sagt Elisabeth Lincke, die Vorsitzende der GGG. Beide Vorsitzenden betonen, dass die Recherche um die Opfer der Shoa ein nicht endender Prozess sei. Deshalb steht auf der neuen Tafel auch „Ergänzt 2023“. „Das soll zeigen, dass das wahrscheinlich nicht das Ende ist“, sagt Lincke.
Wie schwierig die Recherche aber auch sein kann, erfuhr der Lokalhistoriker Michael Schick, von Beruf Kriminaltechniker, bei seiner Suche in den Datenbanken. Denn, in den Archiven, der Datenbank der Internationalen Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, in der etwa 4,5 Millionen Datensätze gespeichert sind, im Bundesarchiv in Koblenz und in der genealogischen Datenbank des Jüdischen Museums Hohenems sowie im Arlosen Archiv stößt er auch auf Dopplungen. „Man muss sich die Datensätze genau anschauen, teilweise gibt es mehrere identische Einträge, einer unter dem Geburtsnamen, ein anderer unter dem Familiennamen“, so Schick. Bei seinen Recherchen unterstützen ihn die Vorsitzende und Michael Niemetz, Leiter des Museums zur Geschichte von Christen und Juden, die sich seit Jahren mit der Genealogie der ehemaligen jüdischen Laupheimer Familien beschäftigen. Auch für die Zukunft schließt Schick nicht aus, dass die Opferzahlen nach oben korrigiert werden müssen, obwohl „große Entdeckungen von weiteren Opfern eher ausgeschlossen“ sind. „Wir haben jetzt aber noch eine Person zuordnen können, die unter Laubheim eingetragen war“, berichtet Schick. Diese Falschschreibung verhinderte bislang den entscheidenden Treffer. Weitere Forschung streben er und der Verein zu den Geschichten hinter den Namen an. „Wir versuchen zu den einzelnen Schicksalen die Biografien zu recherchieren.“
Sicher ist man sich bei der GGG, dass die Forschung zu anderen Opfergruppen in Laupheim nötig ist. So konnten die Historiker weitere 20 Opfer der Euthanasie und vier von den Nationalsozialisten ermordete Sinti und Roma ermitteln. „Wichtig ist uns, dass an die Menschen nicht nur auf einer Tafel erinnert wird, sondern auch auf unserer Internetseite, so können die Nachkommen von NS-Opfern uns finden“, sagt Schick. Die Daten zu den Opfern des Nationalsozialismus und auch das erstmals 2008 erschienene Gedenkbuch „Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung“, zu den Biografien von Mitgliedern der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Laupheim, sind über die Internetseite der GGG abrufbar.
Angestoßen durch Mitglieder der ehemaligen jüdischen Gemeinde setzt sich die GGG laut Satzung für die Erforschung der Ortsgeschichte Laupheims, insbesondere im Hinblick auf die jüdische Geschichte, ein, betont Elisabeth Lincke. Die Erinnerung an die jüdische Gemeinde, die gewaltsam durch die Nationalsozialisten ausradiert wurde, und die Pflege ihres Andenkens möchte der Verein in seiner Erinnerungsarbeit bewahren. Weitere Informationen über die Arbeit der GGG gibt es unter
www.ggg-laupheim.de
Das Digitalisat zum Gedenkbuch finden Interessierte unter
Opfern der Shoa einen Namen geben
Laupheim gedenkt NS-Verfolgten - neue Tafel auf dem jüdischen Friedhof enthüllt.
Von Christian Reichl Schwäbische Zeitung vom 28.01.2023
Eine neue Gedenktafel am jüdischen Friedhof erinnert nun an die Schicksale von weiteren 53 Holocaust-Opfern mit einem Bezug zu Laupheim. Die Stadt hat anlässlich des Holocaust-Gedenktags (27. Januar 2023) die Ergänzung der bestehenden Platte am Abend zuvor enthüllt. Rund 100 Menschen waren als Gäste gekommen.
An die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor 78 Jahren erinnerte Laupheims Oberbürgermeister Ingo Bergmann in seiner Begrüßung. Auschwitz nannte er das „dunkelste und schlimmste Kapitel deutscher Geschichte“. Auschwitz als Sinnbild des Bösen, aber auch die vielen anderen Vernichtungslager, die nur geschaffen wurden, um Menschen zu töten, zeigten, was „Menschen anderen Menschen antun können“, mahnte der OB. Dank des besseren Zugangs zu Informationen sei es heute möglich, mehr über die Schicksale der Verfolgten zu erfahren. Er dankte allen, die es in Bezug auf Laupheim ermöglichten, „dass wir ihre Namen kennen“. Sein Dank galt auch Michael Steiner, angereist mit seiner Familie aus der Schweiz, der die neue Gedenktafel mit einer Geldspende ermöglicht habe.
Wie ehemalige Mitglieder der jüdischen Gemeinde schon kurz nach Kriegsende wieder Kontakt nach Laupheim aufnahmen, schilderte Michael Niemetz, Leiter des Museums für Christen und Juden in Laupheim. Niemetz las aus dem Schriftverkehr zwischen Ruth Rieser, welche die NS-Verfolgung überlebt hatte, und dem von den Alliierten eingesetzten Bürgermeister Josef Hyneck vor. Obwohl zwei Schwestern von Rieser in Theresienstadt von den Nazis umgebracht worden waren, habe sie sich an die Verwaltung in Laupheim gewandt und sich darum bemüht, dass an die in den Konzentrationslagern ermordeten Mitglieder der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Laupheim erinnert wird. Schon damals nannte Rieser sechs Namen, die erst jetzt auf der neuen Tafel aufgeführt sind. Dies stehe exemplarisch dafür, wie Historiker lange mit Überlieferungsproblemen zu kämpfen hatten. Anhand der wichtigsten Stationen zeigte Niemetz, wie sich die Erinnerungsarbeit in Laupheim von der ersten jüdischen Abteilung im Heimatmuseum und der Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof im Jahr 1978 bis zur Einweihung der neuen Tafel entwickelt hatte. „Mit der Gedenktafel können wir den Opfern jetzt einen Namen geben“, so Niemetz. Michael Steiner, Sohn von Yitzhak Heinrich Steiner, übermittelte eine Grußbotschaft seiner Tante, Martina Frank-Steiner, in der diese die Verbundenheit zu Laupheim und ihre Anerkennung für die Gedenkarbeit aussprach.
Zu den jüngsten Recherchen in den NS-Archiven berichtete Michael Schick, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken (GGG) und Betreuer des jüdischen Friedhofs. Nach einer ersten Recherche sei er auf immer mehr Namen mit Bezug zu Laupheim gestoßen. Doch einige Datensätze hätten sich gedoppelt. Gemeinsam mit Museumsleiter Michael Niemetz und der Vorsitzenden der GGG, Elisabeth Lincke, recherchierte er die 53 Namen der Menschen, an die nun auf der ergänzten bronzenen Platte erinnert wird (SZ berichtete). Damit steige die Gesamtzahl allein der jüdischen NS-Opfer mit Bezug zu Laupheim auf insgesamt 155 Menschen. Weitere 20 Opfer gibt es für Laupheim durch die Euthanasie zu beklagen - die Ermordung von kranken und behinderten Menschen - weitere vier Opfer sind Sinti und Roma. Schicks nächstes Projekt wird sich den Krankenmorden widmen.
Rabbiner Shneur Trebnik aus Ulm versinnbildlichte anhand einer bekannten Anekdote, über die Begegnung zwischen Napoleon und einer Gruppe von Juden, die sich über die Zerstörung des Jerusalemer Tempels unterhalten, dass das Judentum nicht nur eine bedeutende Vergangenheit, sondern auch Gegenwart habe. Dafür würden auch die „zahlreichen Menschen, die hier stehen“ sprechen. Zur Zukunft sprach er aber auch mahnende Worte: Jeder solle sich auf dem Nachhauseweg überlegen, was er tun könne, damit die Shoa sich nicht wiederhole und es keine neuen Gedenktafeln brauche. Dann betete der Rabbiner den Psalm 130 auf Deutsch und Hebräisch. Petr Hemmer (Violine) und Helmut Zeihsel (Piano) von der Musikschule Gregorianum umrahmten die Veranstaltung musiklaisch. Sie spielten „Wär ich wirklich so falsch“ und „Mein Geist ist trüb“ aus den Hebräischen Gesängen, die aus der Feder des in Laupheim geborenen jüdischen Komponisten Moritz Henle stammen. Außerdem ein Andante aus einer Violinsonate von Bach.
Eine Führung zur neuen Gedenktafel bietet Michael Schick am Sonntag, 29. Januar 2023, um 14 Uhr an. Treffpunkt ist am Haus am jüdischen Friedhof.
New memorial
plaque for another 53 Holocaust
victims
Research uncovers further victims of Nazi persecution with a connection to Laupheim - They are commemorated on Jewish cemetery
Giving victims of the Shoa a name Laupheim commemorates
victims of Nazi persecution - new plaque unveiled at Jewish cemetery
The extension of the memorial plaque at the Jewish cemetery gives a
name to Nazi victims with a connection to Laupheim. At the unveiling of
the new plaque (from left): Laupheim's mayor Ingo Bergmann, Michael
Schick, Michael Niemetz and Michael Steiner. (PhotoS: Christian Reichl) By Christian Reichl Schwäbische Zeitung from Jan. 28,2023 A new memorial plaque at the Jewish cemetery now commemorates the fates of another 53 Holocaust victims with a connection to Laupheim. The city unveiled the addition to the existing plaque the previous evening on the occasion of Holocaust Remembrance Day (Jan. 27). About 100 people had come as guests. Laupheim's mayor Ingo Bergmann recalled the liberation of the Auschwitz death camp 78 years ago in his welcoming speech. He called Auschwitz the "darkest and worst chapter of German history". Auschwitz as a symbol of evil, but also the many other extermination camps that were created only to kill people, showed what "people can do to other people," the mayor warned. Thanks to better access to information, he said, it is now possible to learn more about the fates of those persecuted. He thanked all those who, in relation to Laupheim, made it possible "that we know their names." He also thanked Michael Steiner, who had traveled with his family from Switzerland, who had made the new memorial plaque possible with a monetary donation. Michael Niemetz, director of the Museum for Christians and Jews in Laupheim, described how former members of the Jewish community re-established contact with Laupheim shortly after the end of the war. Niemetz read from correspondence between Ruth Rieser, who had survived Nazi persecution, and Josef Hyneck, the mayor appointed by the Allies. Although two of Rieser's sisters had been killed by the Nazis in Theresienstadt, she had approached the administration in Laupheim and asked that the members of the former Jewish community in Laupheim who had been murdered in the concentration camps be remembered. Even then, Rieser mentioned six names that are only now listed on the new plaque. He said that this was an example of how historians had to struggle with problems of transmission for a long time. Using the most important stages, Niemetz showed how the commemorative work in Laupheim had developed from the first Jewish section in the local history museum and the commemoration ceremony at the Jewish cemetery in 1978 to the dedication of the new plaque. "With the memorial plaque, we can now give the victims a name," Niemetz said. Michael Steiner, son of Yitzhak Heinrich Steiner, conveyed a message of greeting from his aunt, Martina Frank-Steiner, expressing her attachment to Laupheim and her appreciation for the memorial work. Michael Schick, deputy chairman of the Society for History and Remembrance (GGG) and caretaker of the Jewish cemetery, reported on the latest research in the Nazi archives. After an initial search, he said, he came across more and more names related to Laupheim. But some records were duplicated. Together with museum director Michael Niemetz and the chairwoman of the GGG, Elisabeth Lincke, he researched the 53 names of the people who are now commemorated on the supplemented bronze plate (SZ reported). He added that this brings the total number of Jewish Nazi victims with a connection to Laupheim alone to a total of 155 people. There are another 20 victims to mourn for Laupheim through euthanasia - the murder of sick and disabled people - another four victims are Sinti and Roma. Schick's next project will be dedicated to the murders of the sick. Rabbi Shneur Trebnik from Ulm used a well-known anecdote, about the encounter between Napoleon and a group of Jews discussing the destruction of the Jerusalem Temple, to illustrate that Judaism not only has a significant past, but also a present. The "numerous people standing here" would also speak for that. But he also spoke cautionary words about the future: everyone should think about what they can do on their way home so that the Shoa does not happen again and there is no need for new memorial plaques. Then the rabbi prayed Psalm 130 in German and Hebrew. Petr Hemmer (violin) and Helmut Zeihsel (piano) from the Gregorianum Music School provided the musical framework for the event. They played "Wär ich wirklich so falsch" and "Mein Geist ist trüb" from the Hebrew Songs, penned by the Laupheim-born Jewish composer Moritz Henle. Also, an andante from a violin sonata by Bach. A guided tour of the new memorial plaque will be offered by Michael Schick on Sunday, January 29, at 2 pm. Meeting point is at the house at the Jewish cemetery. |